Ich bin voll im CP77-Fieber... ja, das Spiel läuft grad mal mäßig bei mir auf low/med. Ja, es stürzt immer mal ab (sehr random - mal 3 mal in 30 min, mal läuft es stundenlang ohne zu murren...).
Es hat sicher klare Schwächen, wie die vielen Gesprächsoptionen, die im Grunde nur Flavour sind ("Ja, gerne!", "Ja, wenn ich muß...", "Nö! Ok, ich machs doch.").
Fahren hab ich ja immer bemängelt - mit dem Motorrad geht es aber. Autos sind aber ein Graus.
Mit den Boxkämpfen komm ich garnicht klar, aber das liegt sicher am Geruckel - das war schon bei Witcher 3 so damals auf meiner Klappermühle. Nach dem Systemupgrade ging das dann ganz locker-flockig...
Ansonsten: Das Storytelling ist fantastisch. Mich nimmt es so mit, daß ich nach einem Teil der Hauptquest mal wieder froh bin, zur Entspannung ein paar Open-World-Marker abzuklappern.
Was diese angeht - davon ploppen so viele auf der Karte auf, daß es schon ziemlich entmutigend wirkt... Die Karte ist praktisch übersäht mit Side-Missions, Gigs, NCPD-Markern... letztere sind allerdings ein wenig monoton, aber schon bei den zahlreichen "Gigs" - also Mini-Missionen, gibt es immer einen besonderen Dreh, irgendwas originelles, was die Sache nicht langweilig werden läßt.
Was fehlt, ist Zusammenhang zwischen den Mission der Hauptstory und dem ganzen "Kleinkram", abseits von der Erwähnung wiederkehrender Namen, Orte und Ereignisse (was schon kuhl ist).
Und das ist auch etwas, von dem Paweł Sasko, der Lead Quest Designer, auf seinem Twitch-Stream gefragt nach "einer Sache, die er gern anders gemacht hätte" geäußert hat: Von Anfang an mehr Verbindung zwischen Hauptstory und Open-World-Content. Nach seiner Aussage waren halt zwei verschiedene Teams dafür verantwortlich, die sich hätten mehr austauschen sollen - und am Anfang hat man das etwas verpaßt (meine Interpretation), und am Ende war alle Kommunikation dank Corona schwierig.
So hat dann wohl jeder seins fertiggemacht, und Anküpfungspunkte fehlen.
Was mich wirklich umhaut, ist halt das ganze Welt-Design. Vieles davon ist sicher ursprünglich Mike Pondsmith und Co. zuzuschreiben (der wiederum seine Inspirationen aus Hard-Wired, Bubblegum Crisisund anderen bezog...). Es ist in jedem Fall eine monumental düstere und entmenschlichte Welt, wo man das H-Wort aus dem eh schon zynischen Begriff "Human Resources" ganz gestrichen hat, der jeder ersetzbar ist, so wie seine einzelnen Körperteile, wo eine Leben schon keinen Wert hat, geschweige denn das Wohlergehen eines Menschen, wo Empathie nahezu ausgelöscht ist, und Schmerz und Qual maximal noch für Unterhaltung sorgen neben omnipräsenten Sex und Drogen, weil aus der Vereinzelung und der Unberechenbarkeit des Überlebens ein gnadenloser und rücksichtsloser Hedonismus entstanden ist, und aus dem permanenten Zwang zur Selbstoptimierung selbst der Low-Lifes ein florierender Schwarzmarkt an Implantaten und Organen. Markt und Konsum von ganz unten bis ganz oben... Und wer's nicht schafft, wird selbst zur Ware, ausgeschlachtet in allen, auch den widerlichsten Wortsinnen, und der Rest landet einfach auf dem Müll.
Das ist alles nicht originell, wurde aber selten mit einer solchen Konsequenz, kalten Logik und Wucht verpackt. Es ist natürlich eine Extrapolation unserer heutigen Welt, und eine Warnung - wie schon seit den 80ern, als Neuromancer, Hard-Wired und das original CP-RPG erschienen. Aber die Welt hat sich seit damals weitergedreht, allerdings in die selbe Richtung. Dementsprechend setzt das Spiel auf vieles noch eine Schippe drauf, und denkt und geht noch einen Schritt weiter. An einigen Stellen hatte ich schon einen ziemlich Kloß im Hals beim Lesen von Logs und Emails. Die "graphischen" Details mancherorts sind da nur das Tüpfelchen auf dem i.
Besonders die logische Konsequenz - (Selbst-)Entmenschlichung um überleben zu können, dann die Suche nach nächsten Kick, um doch noch was zu fühlen - und die Geschäftsidee solcherlei "Kicks" für andere in der selben Lage liefern zu können - besonders sichtbar bei den Scavs und Maelstrom, aber natürlich auch hinein in die "CorpoRats" - die beinahe seelenlosen Arbeitsdrohnen der MegaCorps.
Und wer kein austauschbaren Rädchen in der undurchdringlichen Melange aus organisierter Kriminalität, Corpos, Politik und Polizei sein will, dem bleibt nur, sich als Söldner oder Netrunner hochzuarbeiten, in der Hoffnung eines Tages das Ganz Große Ding zu drehen, welches - posthum - ein kleines bißchen Unsterblichkeit als Cocktail-Name im "Afterlife" verspricht.
Um so wichtiger ist jedes kleine Pflänzchen Freundschaft und Mitgefühl, welches auf dieser Giftmüllhalde einer Spielwelt erblüht und überlebt.
Das alles bringt das Spiel in einer Gnadenlosigkeit und Kompromißlosigkeit rüber, die ungeheuer faszinierend ist, und auch deprimierend - wenn man es läßt, und nicht nur als "das nächste Entertainmentprodukt" wegkonsumiert. Deshalb mache ich - trotz Faszination und Suchtfaktor - eher mäßigen Fortschritt. Ich will das halbwegs wach und fit spielen, sonst - das habe ich schon festgestellt - entgeht mir eine Menge. Auf die vielen Details und Zusammenhänge und Gedanken dahinter wird man nicht gerade mit der Nase gestoßen. Und nebenbei gibt es ja noch Arbeit, Familie, Haushalt...
In Rückblende muß ich sagen, der Eintrag, welcher diesen Wettbewerb damals gewonnen hat: "Even technology will not help people gain humanity." (vom User HeliotropiumFluff) trifft die Essenz des Spiels ziemlich genau... Mann, was haben sich Leute da drüber aufgeregt...